7.9 Reasons to leave Nepal

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-english translation below-
-written by martin-

Es ist wenig Verkehr auf der Straße von Bakthapur nach Kathmandu. Wir sind gerade auf dem Weg ins Yak & Yeti Hotel um eine Ausstellung zu besuchen. Plötzlich sehen wir vor uns ca. zwölf Motorräder am Boden liegen. Unser erster Gedanke: Es gab eine Massenkarambolage. Doch dann spürten wir, dass unser Auto wackelte. Es dauerte einen Moment um es zu realisieren – ein Erdbeben! Am ehesten lässt es sich beschreiben, dass mehrere Personen an einem freistehenden Gerüst rütteln, auf dessen oberster Plattform man steht. Für knapp 28 Jahre hat mein Gehirn aber gelernt, dass der Boden auf dem ich stehe fest ist. Und auf einmal ist dies nicht mehr der Fall. Mir wird ein wenig schwindlig. Wo soll man sich fest halten, wenn alles wackelt? Wann hört es wieder auf? Was machen wir jetzt? Nach ca. 90 Sekunden hat sich die Erde wieder beruhigt. Und mit ihr auch mein Kopf. Die Situation ist wieder zuordenbar: Ich stehe sicher auf festem Boden.

Wir befinden uns ca. sechs Kilometer vor Kathmandu. Vier Meter neben mir liegt ein Motorrad am Boden, Benzin rinnt aus und der Motor läuft noch. Alle Fahrzeuge stehen still, alle Motorräder und Fahrräder liegen am Boden. Niemand befindet sich mehr in seinem Auto, jeder steht oder sitzt auf der Straße. Wir versuchen klar zu denken und eine Entscheidung zu treffen. Wir sind unverletzt, sowie auch alle weiteren Personen auf diesem Abschnitt der Straße. Umdrehen! Während fast alle noch auf der Straße vor ihren Autos sitzen, steigen wir wieder ein und fahren zurück nach Changu Narayan. Ein kleiner Ort, ca. 17km östlich von Kathmandu, in dem sich unser Hostel befindet. Doch weit kommen wir nicht. Stau. Wir steigen aus und gehen zu Fuß weiter. Nach ca. 20 Autos erreichen wir zur Ursache des Staus: Die Straße ist zerstört. Mehrere Risse verlaufen quer über alle vier Spuren. Teilweise gibt es Absätze bis zu einem Meter. Doch halb auf dem linken Bankett fahrend könnte es sich ausgehen. Zurück im Auto schlängeln wir uns durch den Stau an mehreren Bussen vorbei und können die Stelle passieren. Bei der ersten Möglichkeit wechseln wir auf die parallel verlaufende, unasphaltierte Nebenstraße. Links und rechts fahren Motorräder an uns vorbei und verschaffen sich hupend Platz auf der mit Menschen gefüllten Straße. Wir bewegen uns eher langsam vorwärts. Nach einer 30 minütigen Fahrt kommen wir in Changu Narayan an. Auf dem Weg sahen wir viele eingestürzte Häuser, tausende Menschen die ins Freie flüchteten und viel Polizei, die versuchte den Verkehr zu regeln. In Changu Narayan hatte sich bereits der Großteil der Einwohner auf dem Busplatz, am Dorfeingang, zusammen gefunden. Wir gehen weiter bis zum Ende des Dorfes, wo sich unser Hostel befindet. Es steht noch. Und ist völlig intakt! Was man von den beiden anliegenden Gebäuden leider nicht sagen kann. Auf der großen Wiese vor unserem Hostel hat sich ebenfalls eine größere Menschenmenge zusammen gefunden. Die Gesichter waren geprägt von Schock und Trauer. In sicherem Abstand zu den Gebäuden setzten auch wir uns zu ihnen. Wir holten sofort unser kleines Verbandspäckchen, das wir immer im Rucksack haben, heraus und versorgten was damit möglich war. Dessen Inhalt war aber leider sehr schnell aufgebraucht. Plötzlich schrie eine Frau laut auf und es waren vier Personen notwendig um sie ruhig zu halten. Ein Schrei wie ich ihn noch nie gehört habe. Er war durchsetzt von Verzweiflung, Schrecken und Trauer. Per Telefon wurde der Frau mitgeteilt, dass ihr fünfjähriger Sohn am Weg ins Krankenhaus gestorben war. Er wurde schwer von herabfallenden Ziegeln ihres Hauses getroffen.

Ständig gab es Nachbeben und in der Ferne sah man immer wieder Häuser in Staubwolken versinken (Changu Narayan befindet sich auf einem Hügel, über dem Kathmandu Valley). Wie man uns mitteilte sei keine Hilfe der Regierung zu erwarten und somit begann man selbst ein Notquartier aufzubauen. Es wurden große Planen herbei geholt und Bambus gefällt, um damit Zelte zu errichten. Wir gingen in die einzelnen Zimmer unseres Hostels, öffneten die Fenster und warfen Matratzen und Decken hinaus. Auf dem Weg ins Freie nahmen wir noch einige Lebensmittel und Trinkwasser mit. Die unversehrte Fassade des Hostels trügte jedoch. Mehrere Wände waren von Rissen durchzogen. Bis zum Abend konnten wir Not-Zelte für 100 Personen errichten. Aus Ziegelsteinen, von denen leider zu viele auf der Straße lagen, wurden zwei Kochstellen gebaut. Später gab es Dal Bhat, ein klassisches nepalesisches Gericht: Reis mit Linsensuppe und Kartoffelcurry. Die dazu notwendige Menge an Zutaten für alle 100 Personen wurde aus mehreren Häusern zusammengetragen.

Die erste Nacht verlief verhältnismäßig ruhig, wenn man von Nachbeben absieht. Diese traten im Abstand von 30 bis 60 Minuten auf. „Walla Walla“ schrien die Nepalis dabei immer wieder auf, was so viel heißt wie „Es kommt, es kommt“. Und schon ging die Sonne wieder auf. Zu Mittag gab es Dal Bhat. Untertags wurden die Zelte umgebaut und verbessert. Jeder versuchte zu telefonieren, aber das Netz war komplett überlastet. Es gab auch keinen Strom und somit kein Internet. Um die Zelte gruben wir Abwasserkanäle, dass die Matratzen vor Regen geschützt sind. In der zweiten Nacht waren diese auch bitter nötig. Gegen 20:00 setzte ein heftiges Gewitter ein. Wir spürten leider sehr schnell, dass unsere Plane, sowie sämtliche anderen, alles andere als dicht waren. Die Säge meines Leathermans lief nochmals heiß, da wir zusätzlichen Bambus schneiden mussten um die Planen besser zu stützen. Auch die Abwasserkanäle mussten vergrößert werden. Völlig erschöpft warteten wir den Regen ab und gingen durchnässt schlafen. Die Nachbeben in dieser Nacht waren bereits schwächer und auch deutlich seltener. Am dritten Tag gab es wiederum Dal Baht zu Mittag. Und zum Nachtisch kam die Sonne für zwei Stunden hervor, was ausreichend war um alles wieder zu trocknen. Die Stimmung war den Umständen entsprechend. Das Handynetz war immer noch überlastet, die meisten Akkus aber sowieso bereits leer. SMS ließen sich versenden, wenn man geduldig war und etwa 15-20 mal auf „erneut Senden“ drückte. Zum Abendessen gab es Dal Baht. Die dritte Nacht verlief ruhig: kein Regen und kaum Nachbeben. Am vierten Tag gab es wiederum das altbekannte Mittagessen, jedoch wurden dieses Mal zusätzlich fünf Hennen geschlachtet. Mit diesem besonderen Essen wurde das Zeltlager „beendet“. Zumindest für diejenigen die noch ein Haus haben, in das sie zurückkehren können.

Oft sieht man in Nachrichten Bilder von Flüchtlingslagern oder Zeltlagern nach einer Naturkatastrophe. Und plötzlich ist man mitten drin und muss seinen Platz unter der Plane gegen Straßenhunde verteidigen. Unterstützung durch die Regierung oder internationale Organisationen erhielten wir keine. Das Rote Kreuz brachte Planen für ca. 100 Personen zum Zeltlager am Busplatz. Changu Narayan hat etwas über 600 Einwohner. Die vier weiteren großen Lager im Ort erhielten nichts. Medikamente, Trinkwasser und Nahrung blieben komplett aus. Yana, eine Touristin aus den USA, wurde zum Arzt in unserem Lager. Sie hat weder Medizin studiert, noch kommt ihre Ausbildung dem Nahe. Die Anzahl an Medikamenten und Salben, die sie dabei hatte, reichte hier völlig aus. Gemüse wurde aus den umliegenden Feldern geerntet und Reis aus den einzelnen Häusern zusammengetragen. Für Trinkwasser musste zunächst Wasser von dem 300m entfernten Brunnen herbeigetragen werden, um es dann abzukochen.

Am Busbahnhof in Kathmandu war jeder Bus überfüllt, innen sowie außen. Touristen sahen wir jedoch keine. Alle mit denen wir sprachen hatten dasselbe Motiv Kathmandu zu verlassen: Angst vor Trinkwasser- bzw. Nahrungsengpässen sowie Krankheiten, die sich in den nächsten Tagen zwangsläufig ergeben werden. In Kathmandu selbst funktioniert die Verteilung der Hilfsgüter, die sich am Flughafen bereits stapeln. Für die umliegenden Dörfer und vor allem Bergdörfer fehlen aber die zur Verteilung notwendigen Transportmittel.

Nach gut neun Stunden erreichten wir Birgunj, an der Grenze zu Indien. Die erste Dusche in fünf Tagen. Am nächsten Tag ging‘s über die Grenze und mit dem Bus in acht Stunden nach Patna. Dass der Bus zunächst einen Getriebeschaden hatte und dann die Reifen nach der Reihe versagten, erwähne ich hier nur am Rande. In Patna angekommen nehmen wir uns das bislang teuerste Hotelzimmer unserer Reise. Mit 34€/Nacht im Doppelzimmer logiert man in Indien in einem, für uns, fast schon zu noblen Hotel. Doch schon nur die Matratze, auf der ich gerade liege und die letzten Wörter dieses Beitrags tippe, ist jeden Cent wert.

Hier geht’s zu den Bildern.

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There is not a lot of traffic on the highway from Bakthapur to Kathmandu. We are on our way to an exhibition at the Yak & Yeti Hotel. Suddenly we need to stop, as twelve motorbikes are lying on the road right in front of us. Our first thought: There was a multiple crash. But then we felt our car was shaking. We needed a few moments to realize it – an earthquake! The feeling is hard to describe, as if you are standing on top of a huge scaffold and a bunch of people is shaking it from below. The last 28 years my brain learned that the ground I am standing on is solid. And suddenly that is not the case anymore. I am feeling dizzy. Where to hold on when everything is shaking? How long will it last? What should we do now? After approx. ninety seconds the earth calmed down. So did my head. The situation was assignable again: I am standing on solid ground.

We are around six kilometres (four miles) before Kathmandu. Four meters (twelve feet) to my left is a motorbike lying on the highway, gasoline is leaking and the engine is still running. All cars are standing still and all bikes lying on the ground. Nobody is in his car anymore. We try to think straight and make a decision. We are unharmed, as everybody else we can see. Let’s go back! While all people are still standing or sitting in front of their cars, we hopped in ours and drove back to Changu Narayan. A small village around 17km (ten miles) east of Kathmandu, where our hostel is situated. But we do not get far. A traffic jam. After passing twenty cars by feet, we got to its origin: the highway is destroyed. A couple of cracks are running across all four lanes. With gaps up to one meter (three feet). But driving halfway on the road bank should be enough to pass by. Back in the car we weave through the traffic jam and are able to pass. At the first opportunity we change to a smaller road running just beside the highway, which is unpaved. Motorbikes are passing by on both sides and make their way horning through the crowded road. We move along pretty slow. After thirty minutes we arrive in Changu Narayan. On our way we saw many collapsed buildings, thousands of people trying to get outside and a lot of police that tried to regulate the traffic. The majority of the habitants of Changu Narayan did already meet up at the bus stand at the entrance to the village. We continue walking to the other end of Changu, to reach our hostel. It is still standing! And fully intact. Which is unfortunately not the case for the two nearby houses. Everybody from this part of the village was sitting on the big meadow in front of our hostel. Their faces were characterized by shock and grief. We joined them, sitting at a safe distance from the buildings. With our first aid kit, which we always have in our backpack, we treated as many wounds as we could. Suddenly a woman squalled and four persons were necessary to calm her. A scream I never heard before. There was despair, grief and scare. She just got informed that her five-year-old son died on his way to the hospital. He was hit badly by falling bricks during the earthquake.

There were many aftershocks and we saw buildings collapsing from afar (Changu Narayan is located on a hill, overlooking Kathmandu valley). As we got told from the locals, we should not expect any help by the government. So all together we started to build an emergency shelter for the night and the upcoming days. Bamboo was cut down and together with a few big tarps we built tents for one hundred people. Lisa and I went into our hostel, to the different rooms and tossed mattresses and blankets out of the windows. On our way back down we grabbed some groceries and drinking water. In the meanwhile two hearth were built out of bricks and huge pots were brought, in order to prepare dinner. We had Dal Bhat, a classical Nepali meal: rice, lentil soup and potato curry. The necessary ingredients for one hundred people were carried together from several houses.

The first night was comparatively quiet, disregarding aftershocks. They occurred every thirty to sixty minutes. Every time the Nepali screamed “walla, walla” – it’s coming, it’s coming. And a few moments later, it was already getting bright again. For lunch we had Dal Bhat. During the day we rebuilt and optimized the tents. Everybody tried to call his family, but the network was totally overloaded. Furthermore there was a power cut and therefore no internet. We built canals around the tents, to protect the mattresses of rain. This night, at 8pm, those were pretty handy. As a big thunderstorm came up. After a few minutes we could feel how waterproof our tarp was. It was not, like all the others. And soon we had to enlarge the canals around the tarps, due to the heavy rainfall. The aftershocks during this night were weaker and less frequent. On the third day we had Dal Baht for lunch. And for dessert the sun came out, just long enough to dry all our stuff. Everybody’s mood was as good as can be expected under the circumstances. The network was still overloaded, but most of the batteries were dead anyway. Text messages went through, if one was patient enough to press “send again” fifteen to twenty times. For dinner we had Dal Baht. The third night was pretty quiet: no rain and only a few aftershocks. On the fourth day we had the well-known lunch again. But this time five chickens were slaughtered, to make a special camping-is-over lunch. At least for those, who with a home they could return to.

Often you see pictures of refugee camps or camps after natural disasters in the news. And suddenly you are in the thick of it and need to defeat your spot under the tarp against stray dogs. Support from the government or international organizations did not reach us. Only the Red Cross brought tarps for one hundred people to the camp at the bus stand. Changu Narayan has 600+ habitants. Medication, drinking water or groceries were not supplied at all. Yana, a tourist from the US, became the doctor of our camp. She did not study medicine. But the amount of pills and creams she had with her was sufficient. Vegetables were collected from the surrounding fields and rice was brought together from all houses. For drinking water we had to boil the water we got from the village well, which was situated 300m away from our camp.

At the bus stand of Kathmandu we did not see any tourists. Only crowded bus, on the inside as well as on the outside. Everybody we were talking to had the same reason to leave Kathmandu: fear of drinking water and food shortages together with diseases, which will emerge during the next days. In Kathmandu itself the distribution of relief supplies worked out, more or less. But the surrounding villages and mountain villages especially did not see a lot of the relief supplies that are already piling up at the airport.

After a nine-hour bus ride we got to Birgunj, at the border to India. We had the first shower in five days. On the next day we crossed the border and had another eight-hour bus ride to Patna. The gearbox damage and the two flat tires are only mentioned in passing. In Patna we check in the most expensive hotel of our trip so far. At 34€/night in a double room we had almost more luxury than we could handle. But only the mattress I am lying on at moment, typing the last words of this post, is worth every penny.

Here you find the pictures.

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